Multi-Stakeholder-Entscheidungen

Es kommt auf den richtigen Rahmen an.

Entscheidungen mit zahlreichen Beteiligten sind gesellschaftlich komplexe und oft langwierige Prozesse. Werden zu Beginn einige konkrete Rahmenbedingungen erarbeitet, steigen die Erfolgschancen deutlich, wie das Beispiel eines städtischen Mobilitätsprojekts zeigt.

Das Bild ist bekannt und ähnelt vielen anderen, egal bei welchem Anlass. Ob bei Investitionsentscheidungen, in Strategiesitzungen oder im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großprojekten: Vertreter unterschiedlicher Perspektiven sitzen zusammen und versuchen, sich gegenseitig von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Es gibt klare Bilder von den notwendigen Ergebnissen, die den Bewegungsspielraum in den Köpfen einschränken. Alternativen werden zwar faktenbasiert diskutiert, Abweichungen von der bevorzugten Lösung werden aber als persönliche Verluste empfunden. Ein gemeinsamer Lösungsraum kommt in dieser Konstellation selten zustande.

In unserem Beispiel mussten zwei Gemeinden über die anstehende Ersatzinvestition in eine Seilbahn entscheiden, die gemeinsam als öffentliches Verkehrsmittel und auch als touristische Infrastruktur genutzt wurde. Zahlreiche Sitzungen sind bereits verstrichen, ohne einem tragfähigen Ergebnis näher zu kommen. Je nach Organisationsform und Führungskultur werden in dieser Situation oft Entscheidungen von oben nach unten getroffen oder man vertröstet sich gegenseitig auf die nächste Sitzung. In beiden Fällen wird keine qualitativ hochwertige Entscheidung getroffen: Im ersten Fall wird die Lösung nicht von allen wichtigen Stakeholdern unterstützt und im schlimmsten Fall bei der Umsetzung torpediert. Im zweiten Fall gerät der Prozess in eine Pattsituation, die ohne zusätzliche Impulse nicht beendet werden kann.

Den Stillstand überwinden

Solche Blockaden sind auf Dauer selten akzeptabel. Zum einen, weil sie Ressourcen binden, zum anderen, weil auf die ausstehende Entscheidung eine Realisierung folgen sollte und die Ergebnisse erst dann vorliegen werden. In unserem Fall stand die vertragliche Regelung zur Finanzierung der Seilbahn kurz vor dem Auslaufen. Ohne eine neue Vereinbarung wäre es unmöglich, in eine neue Infrastruktur zu investieren und sie zu betreiben. Deadlocks funktionieren nur bei absichtlichen Verzögerungstaktiken oder Blockaden. In der Mehrzahl der Fälle - und die wollen wir hier ansprechen - besteht jedoch der Wunsch nach einer nachhaltigen gemeinsamen Lösung. Um sich einer solchen anzunähern, ist es notwendig, die Merkmale einer Multi-Stakeholder-Entscheidung zu erkennen: Während es bei "einfachen" Entscheidungen einen klar definierten Nutznießer gibt, nach dessen Wertvorstellungen sich der Entscheidungsprozess richtet, gibt es hier mehrere. Die Komplexität ergibt sich auf zwei Ebenen:

  • Inhaltlich geht es darum, die möglichen Ergebnisse einer Entscheidung so zu gestalten, dass sie für mehrere Entscheidungsträger von Nutzen sind.

  • Auf gesellschaftlicher Ebene wird ein Verfahren benötigt, das es mehreren Entscheidungsträgern ermöglicht, sich ohne Gesichtsverlust auf eine gemeinsame Lösung zu einigen.

Die Lösung für beide Herausforderungen findet sich an derselben Stelle: am Anfang des Entscheidungsprozesses.

Aller Anfang ist leicht

Zu Beginn eines gemeinsamen Entscheidungsprozesses mit mehreren Akteuren, die einen bestimmten individuellen Nutzen aus dem Prozess ziehen wollen, muss der Entscheidungsrahmen festgelegt werden. Hier werden die wesentlichen Parameter für den gemeinsamen Lösungsraum festgelegt, wobei es wichtig ist, die eigentlichen Entscheidungsträger mit ins Boot zu holen. Dabei geht es nicht darum, auf Expertenebene die vermeintlich beste Lösung zu finden, sondern gemeinsam für stabile Rahmenbedingungen auf der Ebene der für den Nutzen bzw. den jeweiligen Business Case verantwortlichen Personen zu sorgen. In einem ersten Schritt geht es vor allem darum, gemeinsam zu definieren, warum diese Entscheidung hier und jetzt getroffen werden muss.

Wie in unserem Beispiel kann dies recht schwierig sein, da der öffentliche Verkehr einen ganz anderen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen hat als eine Seilbahn für den Tourismus.

Bei neu begonnenen Prozessen ist diese Diskussion relativ leicht zu führen, da noch niemand Stellung bezogen hat und von einer bereits vertretenen Meinung abweichen muss. Bei bestehenden Patt-Situationen hingegen ist Überzeugungskraft gefragt, denn die Rückkehr zum Ausgangspunkt des Prozesses ist eine strikte Bedingung. Darüber hinaus ist bei der Moderation Fingerspitzengefühl gefragt, denn die Ergebnisse dieser ersten Runde müssen einstimmig sein, um in der Zukunft Gültigkeit zu haben.

Die Bedeutung dieser grundsätzlichen Übereinkunft liegt darin, dass mit dem Zusammentreffen von Fakten, die von allen beteiligten Entscheidungsträgern akzeptiert werden, eine belastbare Ausgangsbasis für den Entscheidungsprozess geschaffen wird. Die folgenden Schritte können dann - ebenfalls einstimmig - entwickelt werden: der beabsichtigte Nutzen und die Kriterien zu seiner Messung. Voraussetzung ist allerdings, dass das WARUM der Entscheidung von allen Entscheidungsträgern getragen wird. Gelingt dies, können die Lösung und die Ergebnisse auch im Multi-Stakeholder-Setting schnell erarbeitet werden.

In unserem Seilbahnprojekt hat diese Vereinbarung zu einer nachhaltigen Neuausrichtung des Entscheidungsprozesses geführt, der seitdem in einem Dialogformat bearbeitet wird. Dazu war es notwendig, die Bereiche zu finden, die für beide Gemeinden und für den Tourismus wichtig sind. Der gesamte Entscheidungsprozess musste dieser Nutzendefinition unterworfen werden, um den Neustart zu ermöglichen.

Sollte es im Laufe des weiteren Entscheidungsprozesses zu einem Wechsel der Personen kommen, die ursprünglich an der Erstellung der Rahmenbedingungen mitgewirkt haben, sollte dies aufgrund der klaren Dokumentation zu keinen Abweichungen führen. Kommt jedoch eine neue und bisher vernachlässigte Perspektive hinzu, beispielsweise durch einen Investor, muss der Prozess in jedem Fall validiert, wenn nicht sogar neu gestartet werden. Durch die klar dokumentierte Ausrichtung des Entscheidungsrahmens können die Erwartungen mit neuen Stakeholdern im Vorfeld geklärt und zeitraubende Diskussionen vermieden werden.

Unser Solution Framing©-Ansatz, der in dem oben beschriebenen Projekt zum Einsatz kam, eignet sich für alle Arten von komplexen Entscheidungen. Er sorgt für stabile Rahmenbedingungen und schafft die Voraussetzungen für ergebnisorientierte und effiziente Entscheidungsprozesse.

Autor: Heinz Nusser
© Decision Advisory Group GmbH.

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